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Heul nicht! Sag was!
Der Interessenkonflikt Arbeitgeber vs. Arbeitnehmer im Netz
«Die Geschäftsführung weist darauf hin, dass im Jahr 2003 Datenschutz gesellschaftlich noch nicht so sensibel betrachtet worden sei wie heute. Aus heutiger Perspektive würden wir das anders machen. Es ging damals darum, Arbeitsplätze zu sichern.»
Rechtfertigung für jahrelange heimliche Videoüberwachung der Angestellten
Eine Entlassung, die ausgesprochen wird, weil das Management kein Mitarbeiter_innen-Blog akzeptieren will. Ein Internetforum, das rund um die Uhr attackiert wird, weil es «negative Unternehmensnachrichten» sammelt. Eine Abmahnung durch die Geschäftsführung, weil ein Betriebsrat über die Gesundheitsrisiken von Schichtarbeit informiert. Codes of Conduct, die Angestellten von Konzernen “auf’s Aug gedrückt werden” und die niemand dahingehend überprüft, ob sie sittenwidrig und mit dem jeweiligen nationalen Rechtssystem vereinbar sind. Ein nicht angefochtenes Urteil in erster Instanz, das dem Betriebsrat pauschal jede Äußerung im Internet verbietet. Angestellte, die gekündigt werden, weil sie auf ihren privaten Facebook-Pinnwänden geäußert haben, dass ihre Arbeit langweilig ist, oder im Krankenstand gepostet haben, dass sie krank sind. Personalverantwortliche, die bei Anstellungsgesprächen ausgedruckte, via Internet recherchierte Bilder der Bewerber_innen auf dem Tisch liegen haben, «weil aufschlussreich und spannend ist, wie die Bewerber_innen mit dieser Situation umgehen». Eine Kündigung, weil mensch sich in einem während der Arbeitszeit geschriebenen E-Mail erdreistet hat, der Hilfe suchenden Kollegin die Kontaktaufnahme mit der Arbeiterkammer zu empfehlen.
Kontrollbedürfnis der Unternehmen und die Selbstzensur
Es gibt viele Beispiele dieser Art. Sie alle haben einen Kern: Der strukturelle Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen manifestiert sich natürlich auch im Internet, wegen des Internets und anhand der Arten und Weisen der Internetnutzung beziehungsweise der Einschränkungen und Einschränkungsversuche der Nutzung. Gleich vorab können wir ein paar Punkte klarstellen, über die wohl weitestgehender Konsens besteht.
1. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das wissen selbst die Politiker_innen, Feuilletonist_innen und die Interessenvertreter_innen der Industrie, die seit Jahren huldvoll dem Meme huldigen.
2. Unternehmen stehen in einem wirtschaftlichen Wettbewerb und haben sowohl begründetes Interesse daran, dass wichtige Informationen nicht nach außen dringen, als auch ein begründetes Interesse an einer vorteilhaften Außendarstellung. Sie wollen Informationen und Kommunikation kontrollieren und haben in einigen Bereichen und in Maßen auch das Recht dazu.
3. Im Internet sind (auch) die bereits errungenen Menschen- und Bürgerrechte nicht außer Kraft gesetzt. Wir denken da zum Beispiel an das Briefgeheimnis, an Persönlichkeitsrechte, Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, durchaus aber auch an die “sozialen Menschenrechte“.
4. Der Umstand, dass wir Lohnabhängige sind oder Werkverträge mit Unternehmen haben und auf Honorarbasis “abhängig” sind, kann unsere Rechte nicht außer Kraft setzen, ebenso wenig wie unsere Meinungs- und Informationsfreiheit uns dazu berechtigen würden, Unternehmensgeheimnisse preiszugeben oder haltlose Gerüchte zu verbreiten.
Wenn wir uns auf diesen Konsens einigen können, ergibt sich eine zwingende Konsequenz. Wir müssen uns im Prinzip im Internet frei informieren und äußern können, nämlich unabhängig davon, ob wir Angestellte oder Vertragspartner_innen sind, und wir müssen uns dabei selbstverständlich innerhalb der Regelwerke der Gesetze und Vereinbarungen bewegen, müssen uns ebenso abgrenzen und schützen können wie das auch Unternehmen können müssen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Sachlage komplex ist und es in Konfliktfällen fast immer Abwägungssache ist, was ein Unternehmen darf und was die Angestellte, der Honorarnehmer oder die Betriebsratskörperschaft.
Ein weiteres Beispiel: Auf dem Bildschirm des Firmenlaptops öffnet sich plötzlich ein Pop-Up-Fenster. Das Pop-Up bleibt im Vordergrund, wegklicken geht nicht. Im Fenster ein langer umfangreicher Vertragstext der Konzernzentrale in den USA, vor dessen Unterzeichnung keine Weiterarbeit möglich ist. Es handelt sich offensichtlich um die Social Media-Policy des Pharmariesen, natürlich in amerikanischen Englisch und selbstverständlich nicht an in Deutschland oder Österreich geltendes Recht angepasst. Aktiviert hat das Pop-Up offensichtlich der Versuch der Betriebsratsvorsitzenden, sich in ein Blog einzuloggen. Das Unternehmen erfasst also automatisiert das Ansurfen von Social Media-Plattformen und blockiert jede Chance zur Weiterarbeit, bevor es sich nicht mit einem in dieser Situation aufgezwungenen Vertragswerk abgesichert hat. Gerechtfertigt? Verständlich? Denkst du vielleicht, wenn du das liest: «Was macht die Betriebsrätin am Firmenlaptop auch mit einem Blog, darf die das?» Oder eher: «Wie kommt der Konzern dazu, einseitig und ungeprüft Verhaltensregeln für Social Media, oder allgemeine “Internet-Nutzung” vorzuschreiben?»
Wenn wir uns fragen, «Dürfen die das denn?», meinen wir dann eher die Arbeitgeber_innen-Seite oder die Arbeitnehmer_innen? Der gegenwärtige gesellschaftliche Tenor spricht deutlich dafür, dass die Unternehmen “dürfen” sollen. Und sind Angestellte nicht an ihren Kündigungen selbst schuld, wenn sie ein falsches Wort auf ihren Facebook-Pinnwänden posten? Selbst für Videoüberwachung, Knebelverträge und routinemäßiges Scannen der E-Mails aller Mitarbeiter_innen gibt es ein bisweilen breites Verständnis – oder anders: der breite öffentliche Protest hält sich stark in Grenzen. Es wird schon seine Richtigkeit haben. Das Unternehmen steht immerhin im Wettbewerb und muss sich schützen. «Angestellte können leicht einmal etwas über das eigene Unternehmen sagen, was sich via Internet dann schnell verbreitet. Den Schaden hat dann das Unternehmen!» Diese Sichtweise ist so verbreitet und unwidersprochen, dass sie selbst auf Arbeitnehmer_innen-Seite von vielen geteilt wird.
DIE URHEBER NEGATIVER UNTERNEHMENSNACHRICHTEN
➊ Mit dem Smartphone beim “Capital Market Day” für Investoren aufgenommen und auf YouTube gestellt: ein Telekom-Vorstand erklärt, wie das Management teure Mitarbeiter_innen schon mürbe bekommen wird. Nachdem sich das Video im Internet viral verbreitet, berichten auch die Nachrichten.
➋ Ein Unternehmen bespitzelt die Mitarbeiter_innen mit versteckten Kameras und liest E-Mails mit. Kein Einzelfall. Selten ist die Begründung allerdings so entwaffnend, wie im Zitat zu Beginn dieses Beitrags.
➌ Die ARD Tagesthemen berichten vom Fall der Kassiererin, die zwei Leergutbons um insgesamt € 1,30 gestohlen hat. Das Wording der Firmenleitungen klingt in all diesen Fällen sogenannter Bagatelle-Kündigungen gleich, ob es sich um zwei Fleischlaibchen, drei Semmeln oder 80-Cent-Essensbons handelt: der «immense Vertrauensverlust» mache eine Weiterbeschäftigung unmöglich.
Negative Unternehmensnachrichten im Internet
Die neuen Medien haben es tatsächlich schwieriger gemacht, ein perfektes Marken- und Firmenimage sicherzustellen. Die Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit müssen laufend auf der Hut sein, aufpassen und Monitoring betreiben. Das Internet ist ein Risikofaktor. Jederzeit kann irgendwo missliebige Information auftauchen. Ob Gerüchte oder Fakten, das ist vorerst einmal nachrangig. Unkontrollierte Information kratzt jedenfalls an der Reputation. Es braucht so wenig. Zum Beispiel beruhigt der Telekom-Vorstand und Personalchef Gernot Schieszler eigentlich überzeugend den besorgten Investor, dass es natürlich Wege gäbe, teure Mitarbeiter_innen loszuwerden und dass man seitens des Vorstands die notwendige Kompetenz und Kreativität sicherlich habe. Ökonomisch betrachtet logisch. Möglicherweise auch handelt es sich auch um ein Kommunikationsgebaren, das dem Publikum der Shareholder-Veranstaltung gerecht wird und die Reputation des Unternehmens unter den geladenen Investor_innen hebt. Dass daraus ein Skandal wird, liegt allein an einem Smartphone, einem Besucher, der sich nicht an die Regeln hält, und vor allem am Internet. Der Besucher hätte die Ausführungen des Vorstands nicht filmen dürfen, aber Smartphones sind so klein, dass er nicht bemerkt wurde. Einmal auf YouTube hochgeladen, war es zu spät. Das Unternehmen reagiert schnell und «das Video ist aufgund des Urheberrechtsanspruchs von Telekom Austria TA AG (Inc) nicht mehr verfügbar». Aber der Link und die Aufregung haben sich via Twitter noch schneller verbreitet und schon gehen mehrere Kopien des Videos auf anderen Accounts online. Der Schaden, der durch das unbefugte Filmen des “Capital Market Day” und die ebenso unbefugte Veröffentlichung des Doku-Videos erwächst, ist enorm. Aber selbst wenn wir außer Acht lassen, dass auch dadurch die Volkswirtschaft irgendwie angekurbelt wird, weil die Branche der Krisen-PR und die Berater_innen für Unternehmenskommunikation so ihr überdurchschnittliches Einkommen aufbessern können, stimmt das?
Wenn ein Unternehmen ins Gerede kommt, weil es das Arbeitszeitgesetz immer wieder verletzt, hat das Unternehmen dann den Schaden, weil die Arbeitnehmer_innen hörbar stöhnen? Oder ist der Grund, dass das Management das Arbeitszeitgesetz laufend missachtet? In der Regel wird nicht danach gefragt, wer für negative Nachrichten ursächlich verantwortlich ist. Selbstverständlich ist lediglich, dass sie den Pressesprecher_innen und Eigentümer_innen Bauchschmerzen bereiten. Niemand kann das so gut nachvollziehen und mitfühlen wie die Berufsgruppe der Öffentlichkeitsarbeiter_innen. Ihr Tätigkeitsfeld ist nicht die Ursachenforschung. Sie setzen sich nur mit der Kommunikationsebene auseinander. Der Hintergrund negativer Informationen geht sie nichts an, sie müssen die Public Relations optimieren, das Unternehmen ins rechte Licht rücken, egal wie es hinter den Kulissen wirklich aussieht. Jede negative Unternehmensnachricht wird denn auch von einem Heer an PR-Fachleuten, Wirtschaftsjournalist_innen und Social Media-Expert_innen aufgegriffen. Unverzüglich wird in Blogs erörtert, wie das Unternehmen reagieren müsste, um Schaden einzudämmen. Gemeint ist der Außenauftritt, die externe Kommunikationsebene. Den ersten mitfühlenden Ratschlägen folgen die Tipps auf den Fuß, wie das Unternehmen sich gegen “Leaks” absichern sollte.
Das höchste Risiko wird meist bei den kommunikationsfreudigen Arbeitnehmer_innen ausgemacht, die in den Sozialen Netzwerken unbedacht etwas preisgeben könnten. Social Media-Policies sollen hier Abhilfe schaffen. Helfen können solche Regelwerke oder Leitlinien durchaus; abhängig davon, wie sie zustande gekommen sind, kommuniziert und gelebt werden. Was bei der Fülle an guten Ratschlägen, Literatur und Debatten zu Social Media-Policies jedoch auffällt ist, dass so gut wie nie ein Gedanke an die Vereinbarkeit mit dem Arbeitsrecht und der Betriebsverfassung verschwendet wird. Aber wer weiß umgekehrt schon, dass es zum Beispiel Betriebsvereinbarungen zu Internet gibt, dass die Nutzung des Internet in Betrieben eigentlich der Zustimmung des Betriebsrats bedürfte, dass diese Vereinbarungen den Rang von Verträgen haben und ausverhandelt werden und dass ein Unternehmen daher nicht einfach einseitig Policy festlegen und zu Regeln verpflichten kann, die – siehe oben – grundlegende Rechte von Bürger_innen berühren.
Die Hegemonie der Public Relations-Sprachregelungen
Die Energie, die in die Bearbeitung und Kontrolle der “Public Relations” geht, ist faszinierend. Die Sparte der Kulturindustrie brummt. Das zeigt gleichzeitig noch etwas wesentlich Wichtigeres: es darf keine negativen Meldungen geben und jeder Aufwand ist recht, um diese zu vermeiden. Alles andere als positive Informationen und Sprachregelungen sind in der öffentlichen Arena Tabu. Das Schönreden ist hegemonial. Organisierten Widerstand gibt es kaum. In den Zeiten der New Economy zur Jahrtausendwende stemmt sich die Website «dotcomtod» (DCT) gegen die Euphorieblase im New Economy Hype. In dieser Zeit wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Die Betreiber_innen wollen eine Art mediales Fenster aufmachen, an das jede_r herantreten kann, um die schlechte Luft aus den miefigen Chefetagen zu lassen. Die Website geht auf die Inspiration dieses Berichts über slashdot.org zurück, einem frühen auf freier Software basierenden Nachrichtenportal der Netzgemeinde, und wird zwischen 2000 und 2004 zu einer der wichtigsten im deutschsprachigen Internet. DCT erreicht mit zunehmender Bekanntheit, dass Pressesprecher_innen oder auch Vorstandschefs aus ihren Elfenbeintürmen klettern müssen. Lange bevor zuerst Blogs und später Twitter diese Funktion übernehmen, wird «dotcomtod» zu einem Ventil des Luftablassens, bis die Website 2004 vom Netz genommen wird. Als Nachfolgeprojekt stemmt sich «BooCompany» gegen die Hegemonie der PR-Kommunikation über und von Unternehmen. Die neue Seite beschränkt sich nicht mehr auf die New Economy, sondern widmet sich allen Branchen der Privatwirtschaft.
Ebenfalls lange vor Facebook, Twitter & Co. wird Chefduzen.de gegründet, das «Forum der Ausgebeuteten», ein Forum, auf dem Beschäftigte aus allen Bereichen der Arbeitswelt sich über Lebens- und Arbeitsbedingungen austauschen. Das Forum bringt immer wieder Fallbeispiele und Erlebnisberichte online und wird besonders unter Zeitarbeiter_innen, Prekarisierten und Arbeitslosen genutzt, die aus erster Hand von ihren Erfahrungen auf Arbeitsämtern und in Kursen berichten. Es dauert nicht lange, bis es Chefduzen-Foren auch in der Schweiz und Österreich gibt. 2006 wird das «Whistleblower-Netzwerk e. V.» zur Beratung und Betreuung von Personen gegründet, die innerhalb von Betrieben und Organisationen mit Missständen konfrontiert sind und nicht wissen, ob und wie und wo sie diese Missstände melden sollen. Mit whistleblower-net.de stellt der Verein eine Plattform zur Information, Beratung und Kontaktaufnahme bereit. Mit Netzwerk IT gibt es eine weitere offene Plattform für Beschäftigte und Erwerbslose, die sich hier in Projekten zusammenschließen können, zum Beispiel zum gemeinsamen Widerstand gegen Entlassungen oder um die Wahl eines Betriebsrates unter schwierigen Bedingungen vorzubereiten.
BooCompany – exitorientierte Unternehmensmeldungen
Ein “BOO” ist eine allgemeine negative Nachricht mit online verfügbarer Quellenangabe. Die Community-Plattform «BooCompany» sammelt ausschließlich solche negativen Unternehmensmeldungen. Boos können gemeldet und selbst eingetragen werden. In Kategorien wie «Insider»-Meldung oder «Final» für Nachrichten zu Insolvenzen sind sie auf der Plattform dokumentiert. Die Leute können nachlesen, was alles passieren kann und worüber niemand reden will. Inzwischen ist die Chronik eine Art digitales schlechtes Gewissen, ein WatchBlog WatchBlog über fragwürdiges Geschäftsgebaren. Ein Teil der Website ist das Verbraucherschutzforum von BooCompany «Abgezockt im Internet? Heul nicht! Sag was!», in dem User_innen sich fünf Jahre lang um die Aufklärung zu Machenschaften von Abzockerbanden gekümmert haben. Seit 2011 gesperrt, stellt es ebenfalls ein Archiv über Geschäftspraktiken und Verbraucher_innen-Schutz dar. Immer wieder werden BooCompany die Server eingerannt. Zum einen von Mitarbeiter_innen von Unternehmen, die wissen wollten, was in ihren Häusern vorgeht oder, nachdem sie von Problemen meistens zuletzt erfahren, was bei ihnen vorging. Zum anderen aber auch regelmäßig durch DDoS-Angriffe auf die Website und das Forum, weil «BooCompany» ganz offensichtlich manchen Menschen ein Dorn im Auge ist. Nur von zwei Personen betrieben, lebte die Plattform den Angriffen zum Trotz von der Mitarbeit der Community und hat sich immer wieder des Problems von Nazis auf Facebook angenommen und die Lügen von Manager_innen und Eigentümern aufgedeckt. Ein Erfolg ist der Tag, an dem Hademar Bankhofer wegen Schleichwerbung aus dem Morgenmagazin der ARD ausscheiden musste. Den Anstoß hatte ein “Boo” auf der Plattform geliefert, die Aufdeckungsarbeit wurde im Forum kollaborativ betrieben, Blogger_innen hatten das Thema aufgegriffen und über einen längeren Zeitraum hinweg verhindert, dass die Verdrängungsmaschinerie die ebenso unangenehme wie symptomatische Geschichte aussitzen konnten.
Allen Projekten sind Eigenschaften und Rahmenbedingungen gemein. Es geht zuallererst um Hilfe und Unterstützung unter Kolleg_innen, eigentlich um Selbsthilfe der Lohnabhängigen, um Selbstorganisation in ausgesetzten Situationen und Umfeldern, um Selbstermächtigung gegen hegemonialen Druck und die Seggregation der Schwächeren und Störenden. All diesen Projekten ist daher auch gemein, dass sie großen Wert und Achtsamkeit auf Datensicherheit und Anonymisierung legen müssen. Wer Probleme mit dem Kontrollbedürfnis von Unternehmen hat und sie artikuliert, stört und setzt sich aus – unter anderem einigem Risiko. Das gilt keineswegs nur bei Arbeitgeber_innen der Privatwirtschaft. Aussagen, die als negative Unternehmensnachrichten aufgefasst werden, werden machtvoll angegriffen. Das beginnt bereits vor der Veröffentlichung von Informationen und fängt schon beim Aufbau unabhängiger Kommunikationskanäle an, die von Unternehmen und Arbeitgeber_innen als riskant eingestuft werden. Die wesentlichste in diesem Zusammenhang zu stellende Frage ist eine sehr grundlegende und sie birgt weitreichende Implikationen: Darf es keine negativen Unternehmensmeldungen geben oder muss es negative Unternehmensmeldungen geben dürfen?
Wenn der Betriebsrat im Netz sichtbar wird
Als 2009 der Betriebsrat einer Landesorganisation der österreichischen Arbeiterkammer ein Blog des Betriebsrats einrichtet und die Belegschaft über Impfaktionen, den Betriebskindergarten und Fußballturniere informiert, gehen in der Arbeitnehmer_innen-Vertretung die Wogen hoch. Ein Abteilungsleiter erklärt wütend, dass ein Betriebsrat kein Recht habe, im Internet sichtbar zu sein, und zwar unabhängig davon, ob die Seite durch Suchmaschinen auffindbar ist oder nicht. Die Blogbetreiber_innen wissen es zwar erstens besser und führen zweitens das Blog so, dass es der Arbeiterkammer zur Ehre gereicht. Nach einiger Zeit entscheiden sie sich dennoch freiwillig dazu, die Website hinter einem Generalpasswort zu verbergen. Die Zeit ist noch nicht reif und die allgemeine Verunsicherung zu groß. Ähnlich verheerend für eine zeitgemäße Betriebsratspraxis, aber schon ein Jahrzehnt zurückliegend, sind die Auswirkungen einer Entscheidung des Arbeitsgerichts in Paderborn in Deutschland. Dort setzt ein Betriebsrat bereits 1998 eine Website auf, nachdem das Unternehmen der Belegschaftsvertretung keinen Raum im betrieblichen Intranet zugestehen wollte. Das Management klagt umgehend und wird vom Arbeitsgericht Paderborn in der Meinung bestätigt, dass ein Betriebsrat prinzipiell kein Recht auf eine Website habe. Zu einer Anfechtung dieser merkwürdigen Entscheidung kommt es aufgrund eines Vergleiches, bei dem der Betriebsrat die ihm zustehende Infrastruktur zugesichert bekommt, nicht. Die Entscheidung mitsamt der darauf Bezug nehmenden Kommentarliteratur hat dazu geführt, dass nur sehr wenige Betriebsräte eine Website betreiben, zumindest nicht sichtbar und der Allgemeinheit zugänglich. Der allgegenwärtigen Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen steht so gut wie keine sichtbare Informationstätigkeit der Arbeitnehmer_innen gegenüber.
Im Mai 2010 wird ein Betriebsrat von der Unternehmensleitung schriftlich aufgefordert, einige Blogbeiträge vom Netz zu nehmen, so wie auch alle Hinweise beziehungsweise Links zu diesen Beiträgen auf Twitter und Facebook. Eine knappe Frist wird gesetzt, andernfalls würden rechtliche Schritte unternommen. In den Beiträgen geht es um Schichtpläne. Der Vorwurf der Geschäftsführung lautet, der Betriebsrat würde Arbeitsrechtsverletzungen behaupten und durch das Online-Stellen von Schichtplänen Betriebsinterna veröffentlichen. Das Betriebsratsblog ist der Geschäftsführung im Übrigen ein Dorn im Auge, und zwar bereits seit es im Herbst 2009 vom Betriebsrat vorgestellt wurde. Mit dem Betriebsratsmitglied, das die Online-Auftritte bespielt, wird kaum mehr kommuniziert. Jetzt meint das Management mit zwei Blogbeiträgen aus dem März und April 2010 zu gesundheitlichen Risiken von Schichtplänen etwas in der Hand zu haben.
Der Stress für die Betriebsratsmitglieder ist groß, aber sie halten dem Druck stand. Die Anschuldigungen der Geschäftsführung werden zurückgewiesen, die Einträge nicht vom Blog genommen. Stattdessen werden sie um Zusätze ergänzt. In roter Schrift hervorgehoben ist nun einleitend auf ihnen zu lesen, «Es geht in diesem Posting nicht um das Aufzeigen von Verstößen gegen das österreichische Arbeitszeitrecht oder gegen gesetzliche Bestimmungen, die sich aus dem Kollektivvertrag ergeben, sondern um die Vorstellung eines aus unserer Sicht äußerst nützlichen Onlinetools für die Analyse von Schichtplänen bzw. um die Bewertung eines Schichtplanes aus ergonomischer Sicht.» Was steht tatsächlich in den inkriminierten Blogeinträgen? Der Betriebsrat macht auf eine Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Deutschland aufmerksam. Die Seite inqa.de bietet unter anderem ein Analysetool an, mit dem Schichtpläne online nach Gesundheitsrisiken und Optimierungspotential analysiert werden können. Keine Rede von Betriebsinterna. Aber als “Bestrafung” erklärt die Geschäftsführung dem Betriebsratsvorsitzenden, dass sie mit seinem Stellvertreter nicht mehr reden werden.
Pack zusammen, du brauchst gar nicht mehr zu kommen
An einem Freitag zu Sommeranfang 2008 stehen die Geschäftsführerin und der Prokurist eines Unternehmens der IT-Branche im Büro des Betriebsratsvorsitzenden. Sie legen ihm ein Forderungspaket vor, geben ihm zu verstehen, persönlich sehr von ihm enttäuscht zu sein und teilen als letzten Schritt vor dem Wochenende mit, dass sie beim Arbeitsgericht die Zustimmung zur fristlosen Entlassung beantragt haben. Parallel wird die Belegschaft mittels E-Mail-Verteiler von der Entlassung in Kenntnis gesetzt: der Betriebsrat habe sich unglaublichen Geheimnisverrat zu Schulden kommen lassen. Davon werden im E-Mail nicht nur die Mitarbeiter_innen sondern sogar weitere Personen in anderen Teilen des multinationalen Konzerns informiert. Zwei Tage zuvor hatte der Betriebsrat seinerseits in einem E-Mail-Verteiler an alle Kolleg_innen das neue Betriebsratsblog vorgestellt. In den 48 Stunden dazwischen arbeitet die Geschäftsführung an der Begründung für eine Entlassung. Geht die Entlassung durch, verliert der Betriebsratsvorsitzende einen Abfertigungsanspruch von 22 Dienstjahren. Die Anschuldigungen sind gravierend und es sind viele, dennoch wird die Entlassung von der Gewerkschaft angefochten. Dreieinhalb Monate später wird der Betroffene in einer E-Mail-Aussendung rehabilitiert, zu der sich die Geschäftsführung im Vergleich schließlich verpflichten muss. Die Anschuldigungen werden zurückgenommen. Der Arbeitsrichter wollte zuvor das Verfahren gar nicht zulassen, die Geschäftsführung den Betriebsrat aber mit allen Mitteln loswerden.
Welche Verfehlungen werden geltend gemacht? Der Betriebsrat habe “Codes of Conduct” verletzt, Betriebsvereinbarungen zugänglich gemacht, habe die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter_innen verletzt, Geschäftsgeheimnisse verraten, habe die Daten auf einem US-amerikanischen Server liegen und habe außerdem ein Passwort für den geschützten Bereich verwendet, das leicht zu knacken sei. Alle diese Anschuldigungen zerbröseln. Die “Codes of Conduct” gelten in anderen Konzernteilen, sind aber in dieser Tochter nie verlautbart worden. Das versucht die Geschäftsführung eine Woche später eilig nachzuholen. Die Betriebsvereinbarungen sind in einem passwortgeschützten Bereich, nur dass der H&R-Verantwortliche sich dieses Passwort erbeten hat. Der Betriebsratsvorsitzende wollte es zuerst nicht weitergeben und hat deswegen extra die Gewerkschaftssekretärin eingeschaltet. Aber der H&R-Verantwortliche der österreichischen Konzernmutter geht als betriebsnahe durch. So bekommt die Geschäftsführung Zugang zum geschützten Bereich. Nun kann argumentiert werden, das Passwort sei zu leicht zu knacken, die Betriebsvereinbarungen liegen also offen.
Die angebliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten ist besonders bemerkenswert. Der Betriebsrat hat zwei Alben zweier Betriebsausflüge auf Flickr angelegt und diese verlinkt. Aber es lässt sich bei allem Druck von oben auch in den nächsten Monaten niemand im Betrieb finden, der eine Verletzung seiner oder ihrer Persönlichkeitsrechte sieht. Übrig bleibt, dass die Geschäftsführung eine fristlose Entlassung – ein viel dramatischeres Mittel als eine Kündigung – mit der Verletzungen von Persönlichkeitsrechten begründet, die paternalistisch im Namen von Mitarbeiter_innen geltend gemacht werden.
Als im Arbeitsgerichtsverfahren dann anhand einer Rechnung und eines Gutachtens ersichtlich wird, dass der Auftrag an einen Ziviltechniker gegangen ist, die Seite zu hacken, gibt die Geschäftsführung auf. Einer der Gründe, warum sie so hartnäckig Verfehlungen konstruieren wollte: Sie hatte gleich zu Beginn eine schwerwiegende Verletzung der Business Conduct Guidelines an die Meldestelle des Großkonzerns in München gemeldet. Diese Meldestelle und die Business Conduct Guidelines hatte der bekannte Konzern erst in den Jahren zuvor nach den großen Schmiergeldaffären und Korruptionsskandalen verschärft. Die Guidelines zielen auf das obere Management ab, nicht auf Belegschaftsvertreter_innen. Der Geschäftsführung ist die Meldung nach München offenbar lange Zeit peinlich, dass da doch nichts dran ist. Nach der Beendigung des Verfahrens im Vergleich braucht die Geschäftsführung zwei Jahre, um wieder mit dem Betriebsratsvorsitzenden zu reden. Der wiederum hat sich dazu verpflichtet, das Blog geschlossen zu lassen; und mehr als ein Jahr gebraucht, um sich vom psychischen Stress und den Folgen eines drastischen Burn-Outs zu erholen.
DIE KONTROLLGESELLSCHAFT LÄSST GRÜSSEN
➊ BooCompany ist Unternehmen ein Dorn im Auge. Die Plattform wird regelmäßig attackiert. Anwälte verschiedener Unternehmen greifen sich regelmäßig unbeteiligte Personen aus dem Kreis der Sympathisant_innen heraus, um ihnen mit Klagen zu drohen. Damit ist allerdings noch niemand durchgekommen.
➋ Ein nützlicher Dienst für die Betroffenen, wenig interessant für andere, eine Informationsseite für Schichtarbeiter_innen. Ein Unternehmen mit Schichtbetrieb würde gerne bereits den Verweis auf solche allgemeinen Informationen unterbinden.
➌ Prof. Wolfgang Däubler stellt sein neues Buch «Gläserne Belegschaft» vor: Wie viel dürfen Arbeitgeber kontrollieren?
Der Maulkorb, ein nützliches Ding bei bissigen Hunden
Es gibt auch positive Fallgeschichten rund um Konflikte zwischen Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innen zu berichten. Es ist eines der allerersten Betriebsrat-Blogs, das da im Herbst 2007 für die Angestellten einer Fabrik in Wien online geht. Das Blog berichtet von Dart- und Tischfußball-Turnieren, wünscht einmal im Monat den Geburtstagskindern des Folgemonats alles Gute, veröffentlicht einen Nachruf auf eine Kollegin, die den Kampf gegen die Krankheit verloren hat, stellt den neuen Lehrling vor, weist auf einen Gesundheitstag oder ein Service der Arbeiterkammer hin. Im Winter 2008 wird für die Handvoll betriebsfremden Blogbesucher_innen allerdings auch klar, dass die Fabrik in eineinhalb Jahren liquidiert wird. Die offizielle Presseaussendung der Konzernzentrale aus Hamburg lässt keinen Zweifel. In der Folge mischt sich hie und da die simple Information zwischen Berichte von Freizeitaktivitäten, dass der Sozialplan verhandelt wird.
Im März folgt dann eine neue Art von Eintrag, «Sitz, Platz, brav …» überschrieben und von Vor- und Nachteilen von Maulkörben für Hunde philosophierend. PR-Abteilung, Geschäftsführung und Konzernzentrale haben den Betriebsrat wiederholt mit sanftem Nachdruck gebeten, das Blog vom Netz zu nehmen. Dieser hat es überhaupt erst eingerichtet gehabt, weil im Intranet kein Platz für den Betriebsrat war. Jetzt, wo ihm dieser angeboten wird, ist er mit dem Blog aber ganz zufrieden. Die Sozialplan-Verhandlung geht in diesem Betrieb besonders reibungslos von dannen, der ausverhandelte Sozialplan ist generös. Im Blog wird weiter von Dartturnieren berichtet.
Zusammenfassung
Privatwirtschaftliche Unternehmen, aber auch Arbeitgeber_innen im öffentlichen und im Non-Profit-Sektor, noch allgemeiner formuliert einfach “Chefs”, das Management und die für Unternehmenskommunikation zuständigen Abteilungen und Personen, sie alle würden es sicherlich vorziehen, wenn Lohn- und Honorarabhängige unsichtbar beziehungsweise nur mit den Aussagen hörbar wären, die sich in die Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen und Organisationen einfügen. Das Internet, die Social Media-Plattformen, das “Mitmach-Web” geben diesem Wunsch immer weniger Chance auf Erfüllung. Immerhin gehört der größte Teil der Weltbevölkerung zur Klasse jener, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und wir alle reden irgendwann sehr wahrscheinlich über unsere Arbeit, bestimmt “Arbeit” doch einen wesentlichen Teil unseres Lebens. Es wird schwierig bis unmöglich sein, die Masse der Menschen zum andauernden Schweigen über ihre Arbeitsbedingungen, ihre Abhängigkeiten und ihre Arbeitgeber_innen zu bewegen. Versucht wird es dennoch, so wie vor gut hundert Jahren bei uns versucht wurde, die arbeitende Bevölkerung aus dem öffentlichen urbanen Raum herauszuhalten. Mit dem öffentlichen Raum “Internet” versuchen viele Arbeitgeber_innen ähnliches, und obwohl das Internet kein rechtsfreier Raum ist, werden mit diesem Argument weitere Regelungen vorangetrieben, die die Präsenz der Arbeit minimieren und die Kontrollmöglichkeiten des Kapitals optimieren wollen.
Uns muss viel klarer werden: wenn Betriebsrät_innen pauschal Websites verboten werden und Arbeitnehmer_innen ebenso pauschal jede Äußerung im Netz über ihre Arbeit untersagt sein sollte, dann hätten diese Bedingungen nichts mit liberalen Demokratien und modernen Rechtsstaaten zu tun. Arbeitnehmer_innen müssen im Internet im Gegenteil viel präsenter und auf viel mehr Ebenen präsenter werden, bis diese Präsenz selbstverständlich ist und das Recht nicht mehr in Frage gestellt wird.
- Überlege und diskutiere mit anderen, wem das Internet “gehört”. Und wem es gehören soll.
- Sei dir klar, dass die Strukturen und Regeln im Internet auch ganz anders sein könnten. Diese Strukturen werden geschaffen. Dafür sollten wir uns interessieren und uns eigentlich auch engagieren.
- Sei solidarisch im Internet. Solidarität können wir im Alltag mit unseren direkten Mitmenschen, im Betrieb, in der Arbeitswelt, auf der Straße mit und für andere und aber auch gut sichtbar im Internet und den sozialen Netzwerken online zeigen. Jede dieser Ebenen ist wichtig.
- Delegieren wir die Vertretung unserer Interessen nicht nur an andere. Wir unterstützen unsere Interessensvertretungen nicht am besten durch Linientreue, sondern durch viele autonome und zusammenarbeitende Aktivitäten und Auftritte.
- Kommuniziere, vor allem über die Dinge, die wichtig sind. Auch dort, wo diese Dinge noch kaum angesprochen werden.
- Hol dir Unterstützung und Beratung. Von der Gewerkschaft, von Netzaktivist_innen, von den Anlaufstationen im Netz, die allen Angriffen der Unternehmen zum Trotz einen souveränen Eindruck machen.
- Lass dir nicht einreden, dass du im Internet deine Arbeit und deinen Arbeitgeber nicht erwähnen darfst und überleg viel lieber, was du wo und wie sagst.
- Wenn du unzufrieden bist, mach das nicht mit dir selbst aus, sondern such dir Foren, wo ein Austausch mit anderen unter Bedingungen gesicherter Kommunikation möglich ist.
- Rache ist keine produktive Auseinandersetzung, sondern Hilflosigkeit. Werde nicht hilflos.
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Früher hätte man gesagt, damit gehe ich zur Bildzeitung, heute ist man seine eigene Bildzeitung. Die Spannung zwischen eigenen moralischen Ansprüchen und der Preisgabe der ökonomischen Basis, also der eventuellen Kündigung ist eine Form der Zivilcourage. An diesem Punkt die Anonymität der Geheimnisträger zu wahren ist gar nicht einfach, denn sensible Informationen sind in der Regel auf wenige Arbeitnehmer_innen einzugrenzen. Der juristische Nachweis allerdings stellt sich oft ähnlich schwierig dar, wie der Nachweis des unredlichen Vorgehens der Geschäftsführung. Der Weg in die Öffentlichkeit ist dabei ja häufig nur die letzte aller möglichen Optionen, die Geheimhaltung der Quelle ist von da an kaum noch zu gewährleisten.
Ein gutes Urteil. Zuvor hatte ein deutsches Arbeitsgericht die fristlose Kündigung bestätigt.
«Die fristlose Kündigung einer Arbeitnehmerin wegen der Veröffentlichung von Missständen bei ihrem Arbeitgeber verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Straßburger Richter schützen damit sogenannte Whistleblower – Arbeitnehmer, die auf Missstände in Unternehmen oder Institutionen öffentlich aufmerksam machen.
Im konkreten Fall hatte die Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber, den Klinikbetreiber Vivantes, erstattet. Das Unternehmen habe zu wenig Personal und sei deshalb nicht in der Lage, die Bewohner eines Pflegeheims ausreichend zu versorgen. Daraufhin hatte das Unternehmen, das der Stadt Berlin gehört, der Altenpflegerin fristlos gekündigt.»
Hier unbedingt lesen …
Seit Email und Internet Einzug in die Betriebe und den Arbeitsalltag gehalten haben, wirfte ihre Nutzung Fragen auf und bringt Konfliktsituationen hervor. Beispiele wie die im Artikel beschriebenen kennen wir aus der “Arbeit und Technik”-Beratungspraxis zur Genüge – leider werden sie selten in dieser Form dargestellt, weshalb ich mich über die Berücksichtigung in diesem Handbuch sehr freue! Mit den Web 2.0-Tools und Social Media-Plattformen hat das Thema neue Brisanz gewonnen. Wenn zwar richtig festgestellt wird, dass Unternehmen in gewissen Maßen das Recht haben, Informationen und Kommunikation zu kontrollieren, so möchte ich diesbezüglich ergänzen, dass bei allen Fragen rund um die Internetnutzung der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte hat. Es geht darum, die Arbeitnehmer_innen durch Regelungen via Betriebsvereinbarung vor Überwachung zu schützen. Gerade im sogenannten “Unternehmen 2.0″ steht der Betriebsrat diesbezüglich vor neuen Herausforderungen. So kann er z.B. auch bei den erwähnten Social Media-Policies, bei denen es sich im Grunde um Verhaltenskodizes handelt – mitreden. Viele Hinweise zum Umgang mit diesen Fragen und den Grundlagen und Möglichkeiten ihrer Regelung finden sich in der Arbeit und Technik-Broschüre “vernetzt, ver[www]irrt, verraten? Web 2.0 in der Arbeitswelt – ein Überblick für BetriebsrätInnen”“.
Diese Fallbeispiele oben kommen mir irgendwie bekannt vor, obwohl mir die Einzelfälle neu sich. Wir haben die letzten Jahre in einem Forschungsteam mit über 100 BetriebsrätInnen Interviews und Workshops gemacht. Dabei haben viele von ihnen berichtet, dass die Angriffe der Arbeitgeber zunehmen. Aus Sicht unserer Forschungsergebnisse spricht da jetzt vieles für den Einsatz von Web 2.0.
Warum? Einfach weil gerade in der Situation autonome Kommunikationsräume für die Durchsetzungskraft von ArbeitnehmerInnen – und auch Gewerkschaften – umso wichtiger sind. Internet und insbesondere Soziale Medien bieten hier Möglichkeiten.
Nur drei Punkte als Beispiele:
1. Social Media sind rund um die Uhr, 7 Tage die Woche zugänglich, mit Smartphones schon von überall und also auch außerhalb des Arbeitsplatzes. Sie entziehen sich damit dem Zugriff der ArbeitgeberInnen.
2. Sie können (zumindest teilweise) die Funktion eines virtuellen Pausenraums übernehmen, der mit der fortschreitenden Filialisierung und Transnationalisierung so in der Realität immer weniger vorhanden ist.
3. Als Informations- und Diskussionsräume bieten sie für die Beschäftigten eine Grundlage, sich ein Bewusstsein für gemeinsame Interessen und Problemlagen zu bilden. Das ist die Basis für ein kollektives, gemeinsames, koordiniertes Vorgehen der Beschäftigten und steigert potentiell deren Durchsetzungsfähigkeit.
Verwunderlich ist es also nicht, dass der Aufbau von autonomen Web 2.0 Kommunikationsstrukturen der ArbeitnehmerInnen von den Unternehmen bekämpft wird. Wir haben uns wie gesagt im Zuge des Forschungsprojekts „Betriebsratsrealitäten – Betriebliche Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften und Betriebsräten im Kontext der Globalisierung“ ausführlicher damit beschäftigt, die Ergebnisse der Studie gibt es in Buchform “Betriebsratsrealitäten”. Nähere Infos gibt’s im Blog.
[...] zum Artikel Juli 30th, 2011 in Fundstücke | tags: Arbeit, Arbeitswelt, Leben, Rechte, Soziale Rechte [...]
In Deutschland gibt es keine eigenen Mechanismen, um Hinweisen auf Missstände oder Anzeigen von Arbeitnehmern zu untersuchen, kritisierten die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einem weitreichenden Urteil im Jahr 2011. Es geht um die Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die damit nach einem jahrelangen Weg durch die Instanzen ein weitreichendes Urteil für die Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer erstritten hat.
Bis heute wiegt die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber in der Regel höher als das Aufdecken von Missständen, selbst wenn diese erst vergeblich dem Arbeitgeber gemeldet werden. Das Urteil drückt die Waagschale zugunsten der Meinungsfreiheit etwas zu Gunsten des Arbeitnehmers herunter. Weiterhin gilt: Aufgrund des Loyalitätsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer muss immer zuerst die zuständige Stelle des Arbeitgebers benachrichtigt werden. Nur als letzte Möglichkeit sei der Gang an die Öffentlichkeit berechtigt. Gleichwohl darf das öffentliche Interesse generell weit ausgelegt werden.
Es ist ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtsprechung, die den Arbeitnehmer so gut wie keine Meinungsfreiheit zugestanden hat. Dennoch bleiben – gemessen an der Whistleblower-Rechtsprechung in anderen Ländern – gravierende Defizite: So bleibt unklar, wie lange ein Arbeitnehmer mit seinem Gang an die Öffentlichkeit warten muss, wenn der Arbeitgeber Abhilfe versprochen hat – diese aber nicht umsetzt. Es ist unklar, welches Recht gilt, wenn der Arbeitgeber zwar keine Kündigung ausspricht, dennoch die berufliche Weiterentwicklung blockiert oder gar Mobbingtechniken einsetzt. Außerdem werden Menschen, die zu Unrecht Nachteile durch den Arbeitgeber erlitten haben, nicht entschädigt. Das Fehlverhalten des Arbeitgeber bleibt ungeahndet.
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